von Klaus Helzel

Für die Barrierefreiheit in Senioren- und Pflegeeinrichtungen fehlen in Deutschland einheitliche gesetzliche Vorgaben. Planung und Management müssen die Bedürfnisse unterschiedlicher Nutzergruppen berücksichtigen. Dafür lassen die Schutzziele aus der Wohnbau-Norm DIN 18040-2 genug Spielraum. TÜV SÜD erläutert, welche Möglichkeiten ein Normentransfer bietet.

Die DIN 18040 konkretisiert die Forderungen des Behindertengleichstellungsgesetzes und legt damit unter anderem Bewegungsflächen und Bedienhöhen für den barrierefreien Wohnungsbau fest. Für barrierefreie oder rollstuhlgerechte private Wohnungen sind die Richtlinien sinnvoll und praktikabel. Pflegeeinrichtungen müssen hingegen auch andere Bewohner- und Nutzergruppen berücksichtigen. Neben den Bewohnern und Besuchern, die sich dort aufhalten, sind Pflegeeinrichtungen auch Arbeitsplatz für Pflegekräfte.

Bedienelemente wie Haltegriffe, Türklinken, Lichtschalter oder Badarmaturen müssen für Rollstuhlfahrer, Blinde und Rollatornutzer also gleichermaßen leicht zu erreichen und zu bedienen sein wie für Pflegerinnen und Pfleger.

Schutzziele und Zielkonflikte

Mit steigendem Alter sind Menschen nicht nur physiologisch in ihrer Mobilität eingeschränkt und deshalb auf einen Rollstuhl oder eine Gehhilfe angewiesen. Auch das Demenzrisiko steigt mit der Lebenserwartung. Und ein beeinträchtigtes Kurzzeitgedächtnis kann den Abbau von Barrieren erfordern. Die Norm thematisiert vor allem motorische »Einschränkungen des Bewegungsvermögens, insbesondere der Arme, Beine und Hände« und gibt für Rollstuhl-gerechte Gebäude eine Bedienhöhe für Lichtschalter von 85 cm über OFF (Oberfläche Fertigfußboden) vor. Außerdem berücksichtigt sie sensorische Einschränkungen wie beeinträchtigte Hör- und Sehfähigkeiten. Unter anderem müssen Türen „deutlich wahrnehmbar, leicht zu öffnen und schließen und sicher zu passieren sein“. Als Anhaltspunkt dient das Zwei-Sinne-Prinzip. Demnach sollten Informationen mindestens zwei Sinne ansprechen. Bedienelemente wie auch Hinweisschilder können dann visuell und taktil bzw. auditiv wahrgenommen werden. Außerdem sind ausreichend große Bewegungsflächen vor den Elementen erforderlich.

Rollstuhlfahrer im Sinne der Norm sind Menschen, die ihren Rollstuhl vollumfänglich selbst bedienen können. Sie erreichen Höhen zwischen 40 und 140 cm über OFF in der Regel problemlos. Rollatornutzer hingegen haben mitunter einen kleineren Bewegungsradius und müssen sich unter Umständen herunter beugen um z. B. einen Türgriff in 85 cm Höhe zu erreichen. Späterblindete haben derweil möglicherweise Schwierigkeiten, derart niedrig platzierte Elemente zu finden. Auch das Pflegepersonal wird unnötig belastet, wenn sich die Angestellten ständig nach Griffen und Schaltern beugen müssen.

In Pflegeeinrichtungen mit einer gemischten Bewohnerstruktur sind voll selbständige Rollstuhlfahrer nicht die Regel. Eine Bedienhöhe von 105 cm über OFF wäre für viele Pflegeeinrichtungen ein guter Kompromiss. Für Rollstuhlfahrer immer noch erreichbar, ist die Höhe für alle anderen keine zusätzliche Hürde bzw. Barriere.

Grafiken: TÜV SÜD

Grafiken: TÜV SÜD

Grafiken: TÜV SÜD

Grafiken: TÜV SÜD

Zweckmäßige Badezimmer

Im Sinne der Arbeitserleichterung für das Pflegepersonal sollte aber nicht nur auf die Höhe der Bedienelemente geachtet werden. Armaturen und Haltegriffe in der Dusche etwa müssen auch für die unterstützende Person leicht erreichbar sein. Sinnvoll ist deshalb, die Elemente in einer Höhe von 105 cm und am Rand der Dusche anzubringen. Ein Handlauf kann derweil unter der Armatur durchgeführt werden.

In Pflegeeinrichtung kommt im Sanitärbereich häufig ein Duschrollstuhl mit Hygieneöffnung zum Einsatz. Er ist kleiner als ein herkömmlicher Rollstuhl und benötigt daher weniger Platz. Die vorgegebene Bewegungsfläche von 1,5 m x 1,5 m für ein Rollstuhl-gerechtes Badezimmer bezieht sich auf konventionelle Rollstühle. Sie könnte verkleinert werden, um den zur Verfügung stehenden Raum noch besser zu nutzen.

Befragung bestätigt hohen Assistenzbedarf

Wie die tatsächlichen Bewohnerstrukturen und Bedürfnisse in Pflegeeinrichtungen aussehen, hat eine Arbeitsgruppe u. a. aus TÜV SÜD, der Caritas Diözese Würzburg e.V. und dem Bayerischen Roten Kreuz Starnberg in einer Befragung ermittelt. Teilgenommen haben Pflegeeinrichtungen in Bayern ohne abgeschlossenen Demenzwohnbereich. Die Ergebnisse zeigen, dass der Assistenzbedarf durchweg hoch ist.

Von allen Bewohnern sind 39 Prozent auf den Rollstuhl angewiesen. Rund drei Viertel davon benötigen dabei Assistenz. Das heißt, dass lediglich ein Viertel „normenkonforme“ bzw. „mobile“ Rollstuhlnutzer sind, die ihren Rollstuhl vollumfänglich selbst bedienen können. Insgesamt sind 76 Prozent der Bewohner in ihrer Mobilität eingeschränkt. Rund die Hälfte der Bewohner ist dement.

Besonders groß ist der Assistenzbedarf im Sanitärbereich. Beim Duschen benötigen drei Viertel aller Bewohner Hilfe bzw. Hilfsmittel; beim Toilettengang etwa zwei Drittel. Tatsächlich ist es in den meisten Einrichtungen gängige Praxis, die Bewohner etwa beim Duschen grundsätzlich zu unterstützen. Das schafft Sicherheit und ist nicht zuletzt aus versicherungsrechtlicher Sicht verbreitete Praxis.

Spielräume nutzen

Ungeachtet der Anforderungen fordern einzelne Bundesländer feste Quoten für Rollstuhl-gerechte, sogenannte R-Zimmer. Das würde jedoch mitunter zu Fehlbelegungen führen sobald ein R-Zimmer durch einen Bewohner ohne Rollstuhl belegt wird, weil Nicht-R-Zimmer fehlen. Sinnvoller wären flexibel nutzbare Zimmer, die den Bedürfnissen aller in Frage kommenden Nutzergruppen gerecht werden.

Die Vorgaben der DIN 18040 könnten dennoch eingehalten werden. Dazu muss der Gestaltungsspielraum genutzt werden, den die Norm lässt. In diesem Rahmen sind praxisbezogene Lösungen auf Basis des bestehenden Pflegekonzepts der Einrichtung möglich. Für eine differenziertere Betrachtung müssen die Schutzziele der Norm maßgebend sein. Sie müssen auch die Bedürfnisse der Pflegekräfte berücksichtigen.

Hilfreich ist, das Pflegekonzept frühzeitig mit den zuständigen Behörden abzustimmen. Mögliche Zielkonflikte sollten Planer beim Neu- oder Umbau von vornherein kennen und berücksichtigen. So könnten die Bedürfnisse unterschiedlicher Nutzergruppen abgewogen werden. Mit dem Ziel, praxisnahe Lösungen zu finden, die sowohl rechtssicher als auch wirtschaftlich sind, engagiert sich auch TÜV SÜD. Die Experten wollen einen Leitfaden mit Fallbeispielen für weitere Vorschläge zum Normentransfer auf Schutzzielbasis erarbeiten.

Kurzinfo

Klaus Helzel, arbeitet seit 2008 bei TÜV SÜD Industrie Service und ist dort Fachgruppenleiter für Barrierefreiheit. Seit vergangenem Jahr ist er zudem Mitglied im Normenausschuss zur DIN 18040.

Kontakt:

TÜV SÜD Industrie Service GmbH

Abteilung Bautechnik

Westendstraße 199

80686 München

Tel.: 089 / 5791-3298

klaus.helzel@tuev-sued.de

www.tuev-sued.de/is

Der Artikel ist in der Ausgabe 01/2019 zu finden.

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