Ein Leuchtturmprojekt der AWO Fürth mit interdisziplinär gelungener Sturzprophylaxe

von Ulrike Jocham

Türschwellen stellen ein Sturzrisiko dar. Diese Gefahr wollte die AWO Fürth in ihrem Fritz-Rupprecht-Heim in Fürth-Burgfarrnbach nicht mehr haben. Bei der energetischen Sanierung zwischen Juli 2010 und Dezember 2013 hat der Altenhilfeträger bei der Erneuerung aller Fenster und Türen in seinen Häusern 1 und 2 (Baujahr 1975) und 3 (Baujahr 1981) die Chance für eine sturzpräventive Architektur genutzt. Die vorhandenen Außentürschwellen wurden dabei konsequent abgebaut und mit ca. 160 Magnet-Nullschwellen ersetzt. Das besondere bei diesem Rückbau im Bestand war, dass sogar eine Nullschwelle mit Neubau-Qualität, die flachere Anschlüsse und eine technisch bessere Entwässerung ermöglicht, eingebaut werden konnte. Seit mehr als nun schon 6 Jahren zeigen diese Türen ohne Anschlagschwelle, dass kein Tropfen ins Gebäude eindringt – selbst beim zerstörerischen Sturmtief Kolle im Jahr 2017.

Sturzprophylaxe mit Nullschwellen

Die Magnet-Nullschwellen ermöglichen nicht nur Barrierefreiheit, sondern bauseitige Sturzprophylaxe – beides unverzichtbar in der Pflege. Foto: Ulrike Jocham

Die Magnet-Nullschwellen ermöglichen nicht nur Barrierefreiheit, sondern bauseitige Sturzprophylaxe – beides unverzichtbar in der Pflege.
Foto: Ulrike Jocham

Alle Balkon- und Terrassentüren sowie weitere Außentüren des Fritz-Rupprechts-Heims können seit der Sanierung sturzpräventive Magnet-Nullschwellen aufweisen. Foto: Ulrike Jocham

Alle Balkon- und Terrassentüren sowie weitere Außentüren des Fritz-Rupprechts-Heims können seit der Sanierung sturzpräventive Magnet-Nullschwellen aufweisen.
Foto: Ulrike Jocham

„Wir wollten beim Start unserer Sanierung barrierefreie Türen zu unseren Terrassen und Balkonen, ohne eine Türschwelle“, berichtet Udo Weißfloch, der damalige Heimleiter und heutige Geschäftsführer der AWO Fürth. Jedem der 150 Zimmer war schon damals ein dazugehöriger Freisitz als Terrasse oder Balkon zugeordnet. „Bis 2011 befanden sich ungefähr 8 cm hohe Türschwellen an allen Freisitztüren. Mit diesen Barrieren hatten unsere Bewohner keine Möglichkeit gehabt, den Balkon zu nutzen, nur die Rüstigen – und selbst diese haben aus Angst vor Stürzen oftmals vermieden, auf den Balkon oder die Terrasse zu gehen“, erklärt Weißfloch. In der Altenhilfe sei bekannt, wie viele ältere Menschen gehen. Häufig würden sie ihre Füße nicht mehr heben. „Deshalb sind gerade kleine Türschwellen schon ab 1 – 2 cm Höhe gefährlicher als große, denn sie können nicht so gut wahrgenommen werden. Außerdem verschärft sich dieses Sturzrisiko bei älteren Menschen zusätzlich noch durch eine häufig eingeschränkte Sehfähigkeit.“ Deshalb forderte Udo Weißfloch schon damals absolut niveaugleiche Übergänge zwischen innen und außen.

Architekt ermöglicht Nullschwelle

Das zuständige Architekturbüro Zahn aus Fürth war sofort bereit, den Bauherrenwunsch nach schwellenfreien Außentüren bautechnisch umzusetzen. Dies stellte schon damals bei weitem keine Selbstverständlichkeit dar. „Unser Büro hat bei diesem Bauvorhaben zum ersten Mal die schwellenfreien Magnet-Doppeldichtungen ohne Türanschlag eingebaut. Zu diesem Zeitpunkt war es die einzige niveaugleiche Nullschwellen-Dichtung, die wir auf dem Markt gefunden haben“, erklärt der verantwortliche Architekt Bernhard Zahn.

Die Nullschwellen-Technik

Die Magnet-Nullschwelle dichtet mit beweglichen Magnet-Profilen ab. Werden die Türen geschlossen, ziehen Magnete im unteren Teil des Türflügels die Magnetprofile im Bodenprofil nach oben. Beim Öffnen der Tür stoßen sich die Magnete aufgrund der Polung sofort gegenseitig ab. Im offenen Türzustand liegen die Magnet-Profile dann eben und sturzkantenfrei im Bodenprofil.

Disziplinübergreifende Sturzprävention

Diese schwellenfreie Außentürdichtung wurde zusammen mit den anderen Bauleistungen ausgeschrieben. Die Heinz Hufnagel Bau- und Möbelschreinerei aus Fürth hat an der Ausschreibung teilgenommen und den Zuschlag erhalten. Auch von Seiten des Fensterbauers Heinz Hufnagel gab es keine Einwände sturzpräventive Türen ohne Türschwelle zu bauen. „Wir haben das umgesetzt, was uns der Architekt in der Ausschreibung vorgegeben hat“, berichtet Heinz Hufnagel. „Die rund 160 neuen Nullschwellen-Außentüren und Fenster haben Holzprofile und wurden von unserer Bau- und Möbelschreinerei mit insgesamt 7 Handwerkern gefertigt und eingebaut“, berichtet der Geschäftsführer Heinz Hufnagel. Da die gesamte Sanierung insgesamt 3,5 Jahre dauerte, sei dies gut machbar gewesen. Durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen der AWO Fürth, dem Architekturbüro Zahn und der Heinz Hufnagel Bau- und Möbelschreinerei konnte ein, aus der gängigen Praxis herausragendes, Best-Practice-Beispiel für Sturzprophylaxe in der Architektur entstehen. Damit haben die Beteiligten ein im Deutschen Ärzteblatt bereits 2005 formuliertes Ziel vorbildlich umgesetzt: Sturzprävention bei Senioren ist eine interdisziplinäre Aufgabe!

Der Nullschwellen-Einbau

An allen möglichen Außentüren, wie z. B. in Gemeinschaftsräumen und weiteren Zugängen ins Freie sowie an allen Freisitztüren in den Bewohnerzimmern, wurden Magnet-Nullschwellen eingebaut. Die Außenwand in den Bewohnerzimmern ist mit den Fenstern und Türen komplett erneuert worden. Die Terrassen und Balkone waren vor der Sanierung rund 15 cm tiefer als die Oberkante des Fertigfußbodens innen. Da unterhalb des Nullschwellen-Bereiches ausreichend Platz geschaffen werden konnte, war der Einbau von den schwellenfreien Magnet-Doppeldichtungen mit integrierter Entwässerung möglich, die mindestens 5 cm Einbauhöhe erfordern. Dieses vorgefertigte Entwässerungssystem unterhalb der Magnet-Dichtungen erfüllt bei einer fachgerechten Planung die Funktion einer Rinne. „Deshalb haben wir uns entschieden, bei allen geschützten Terrassen- und Balkontüren auf eine zusätzliche Rinne zu verzichten“, erklärt Architekt Zahn.

Selbst bei Sturmtief ohne Rinne dicht

Das Sturmtief Kolle ist laut dem zuständigen Pflegedienstleiter Kleine-Vosbeck mit direkter Wucht auf die Nullschwellen-Freisitztüren aufgeprallt, trotz der schützenden Balkone darüber. Doch die Nullschwellen waren auch bei dieser Belastung absolut dicht. Foto: Ulrike Jocham

Das Sturmtief Kolle ist laut dem zuständigen Pflegedienstleiter Kleine-Vosbeck mit direkter Wucht auf die Nullschwellen-Freisitztüren aufgeprallt, trotz der schützenden Balkone darüber. Doch die Nullschwellen waren auch bei dieser Belastung absolut dicht.
Foto: Ulrike Jocham

Dieser restliche Baumstamm im Garten des Demenzbereiches (der ebenfalls mit Nullschwellen erschlossen ist) zeigt, wie groß die zerstörerische Kraft des Sturmtiefs Kolle war. Laut dem Einrichtungsleiter Markus Däumler wurde dieser ehemals große Baum durch das Sturmtief Kolle umgeworfen, wie zahlreiche weitere Bäume auf und neben dem Grundstück auch. Foto: Ulrike Jocham

Dieser restliche Baumstamm im Garten des Demenzbereiches (der ebenfalls mit Nullschwellen erschlossen ist) zeigt, wie groß die zerstörerische Kraft des Sturmtiefs Kolle war. Laut dem Einrichtungsleiter Markus Däumler wurde dieser ehemals große Baum durch das Sturmtief Kolle umgeworfen, wie zahlreiche weitere Bäume auf und neben dem Grundstück auch.
Foto: Ulrike Jocham

„Das ist echt richtig geil sauber zu machen“, begeistert sich der Pflegedienstleiter Thomas Kleine-Vosbeck vom Haus 1. Wenn die Magnet-Nullschwelle, wie hier bei den Balkonen und Terrassen, ohne Rinne eingebaut wird, ist die Fläche des Bodenprofils im offenen Türzustand inklusive der angrenzenden Böden eben und geschlossen. Es gibt keine offenen Ritzen, Kanten oder Gitterlöcher, an oder in welchen der Schmutz hängen bleiben kann. Diese geschlossenen Oberflächen können angrenzende Rinnen nicht bieten. Und dass diese Nullschwellen-Technik bei einer fachgerechten Planung selbst bei Höchstbelastung keine Türschwelle und keine zusätzliche Rinne braucht, zeigt das Sturmtief Kolle, das im August 2017 in Fürth und auch im Stadtteil Burgfarrnbach eine Schneise der Verwüstung hinterließ. „Direkt auf unserem Heimgrundstück und im danebenliegenden Schlosspark hat das Sturmtief Kolle mit teils orkanartigen Böen zahlreiche Bäume umgeworfen. Bei mir zu Hause wurden sogar die Fenster so eingedrückt, dass sie undicht wurden. Doch durch unsere Nullschwellen-Türen hier im Heim ist kein Tropen Wasser gedrungen“, berichtet der Pflegedienstleiter. Das Sturmtief Kolle habe mit direkter Wucht die Fassade in seinem Pflegebereich getroffen und das Wasser sei trotz auskragenden Balkonen direkt auf die Nullschwellen-Dichtungen aufgetroffen. „Trotzdem gab es keine einzige undichte Stelle“, berichtet Kleine-Vosbeck. Als im Jahr 2010 die ersten Nullschwellen-Türen eingebaut wurden, habe er schon befürchtet, dass da Wasser reinläuft. Doch Sturmtief Kolle habe alle seine Befürchtungen endgültig beseitigt. Und Türen ohne Schwellen seien für seine Bewohner entscheidend: „Ohne Schwellen kommen sie raus, mit Schwellen kommen sie nicht raus.“

Bedeutende Zugänglichkeit zum Balkon

Die Bewohnerin Elisabeth Seiler ist froh eine Balkontür ohne Türanschlag zu haben. Dank der Nullschwelle kann sie im Alltag ganz einfach auf ihre Terrasse, um ihre Pflanzen und ihr Gemüse zu versorgen, sowie Wäsche aufzuhängen. Mit einer Türschwelle ginge das nicht. Foto: Ulrike Jocham

Die Bewohnerin Elisabeth Seiler ist froh eine Balkontür ohne Türanschlag zu haben. Dank der Nullschwelle kann sie im Alltag ganz einfach auf ihre Terrasse, um ihre Pflanzen und ihr Gemüse zu versorgen, sowie Wäsche aufzuhängen. Mit einer Türschwelle ginge das nicht.
Foto: Ulrike Jocham

Auch die Inhaberin des öffentlichen Cafés im Fritz-Rupprecht-Heim ist froh, eine Nullschwelle an ihrer Terrassentür zu haben. Auch mit einer kleinen Schwelle, müsste den Bewohnern auf dem Weg zur Terrasse geholfen werden – so könne jeder selbstständig hinaus. Foto: Ulrike Jocham

Auch die Inhaberin des öffentlichen Cafés im Fritz-Rupprecht-Heim ist froh, eine Nullschwelle an ihrer Terrassentür zu haben. Auch mit einer kleinen Schwelle, müsste den Bewohnern auf dem Weg zur Terrasse geholfen werden – so könne jeder selbstständig hinaus. Foto: Ulrike Jocham

„Bei den Hausführungen kann ich mit unseren schwellenlosen Balkonzugängen punkten. Zu Hause in den eigenen Wohnungen gibt es das nicht“, erklärt der Heimleiter des Fritz-Rupprecht-Heims Stefan Siemens. Für die Bewohner sei diese niveaugleiche Gestaltung wunderbar, sie könnten ganz einfach an die frische Luft. „Ich lebte viele Jahre ohne Balkon und habe jetzt einen. Daher weiß ich, wie enorm so ein Balkon die Lebensqualität steigern kann.“ Laut dem Heimleiter passen 1 – 2 cm hohe Türschwellen nicht zu der Zielgruppe der älteren Menschen: „Es wäre fatal gewesen, hätten wir bei der Sanierung alte Barrieren neu errichtet.“ Auch die Pflegedienstleitung vom Haus 2, Hilde Hermann, freut sich über die Nullschwellen: „So ist es sehr gut für die Bewohner. Sie können raus und rein, so wie sie wollen!“ Das steigere das Selbstwertgefühl und die Selbstständigkeit und erhalte die Ressourcen. Laut dem Einrichtungsleiter, Markus Däumler, befinden sich auf den zahlreichen Balkonen des Heims 400 Geranien in Blumenkästen. „Wir wollen den Bewohnern ein schönes Zuhause bieten.“ Das Ziel ist klar: Jeder der möchte, soll die Blumen selbst gießen und versorgen können! Auch die Bewohnerin Elisabeth Seiler freut sich über ihre schwellenlose Terrassentür. „Ich finde es ohne Schwelle sehr gut. So kann ich problemlos meine Wäsche aufhängen, meine angepflanzten Paprikas und Tomaten versorgen und mich um meine Rosenstöcke kümmern.“ Mit einer Türschwelle ginge das alles nicht mehr.Laut dem Leiter der Technik, Uwe Stieltz, sei die Wartung der Nullschwellen problemlos: „Wir hatten damit noch nie technische Probleme und werden auch nie welche haben.“ Alle Vierteljahre würden sie nach den Nullschwellen schauen und bei Bedarf ein- bis zweimal im Jahr die Magnet-Profile herausnehmen und reinigen. Dies stelle jedoch keinen nennenswerten Aufwand dar. Wären jedoch Türschwellen bei der energetischen Sanierung eingebaut worden, gäbe es Aufwand. Aufwand und alltagserschwerende Ärgernisse für die Nutzer sowie die Pflege- und Reinigungskräfte. „Das wäre nicht witzig. Wenn hier eine Schwelle wäre, müssten wir allen Bewohnern helfen“, sagt Sonja Zill, die Inhaberin des Cafés, das sich direkt im Heim befindet. Auch ihre Terrassentür hat eine der rund 160 Nullschwellen erhalten. Bei einem Überroll-Test mit einem Rollstuhl betont Zill: „Da schaut mal, wie einfach das geht!“

Kommentar:

Aktuell gibt es noch einen großen Mangel an der Vermittlung von interdisziplinärem Nullschwellen-Sachverstand in der Aus- und Weiterbildung von Bauverantwortlichen. Bis heute wird das Thema Sturzprävention im Fachbereich Bau ungenügend vermittelt, steht jedoch im Fachbereich Pflege in der Bedeutung ganz oben. Umso fataler ist das überwiegend anzutreffende Ergebnis. Bis heute wird immer noch fast jede Pflegeimmobilie mit 1 – 2 cm hohen Türanschlagdichtungen ausgestattet, insbesondere zu den Freisitzen. Diese kleinen Schwellen stellen nicht nur ein Sturzrisiko und eine Barriere dar, sondern zusätzlich eine beachtliche Immobilienwertminderung. Denn sind Türschwellen an Außentüren einmal eingebaut, können diese meist nur sehr aufwendig und kostenintensiv zurückgebaut werden. Best-Practice-Beispiele wie das Fritz-Rupprecht-Heim stellen noch lange nicht den Regelfall dar. Diese Kluft gilt es dringend mit interdisziplinären Weiterbildungen, Veranstaltungen, Beratungen und Publikationen zu schließen.

Kurzinfo

Die Autorin:

Ulrike Jocham, die Frau Nullschwelle, ist interdisziplinäre Bausachverständige für Barrierefreiheit, Universal Design, Inklusion und Nullschwellen. Ihre multiprofessionellen Qualifikationen als Heilerziehungspflegerin und Dipl.-Ing. in Architektur mit Weiterbildung in Sozialraumentwicklung und Forschung, bieten dafür eine multiprofessionelle Grundlage mit Schnittstellenkompetenzen. Sie kennt die Bedarfe aus der Pflege und der Inklusion sowie die technischen Möglichkeiten beim Planen und Bauen. Sie bietet Beratungen, Vorträge, Weiterbildungen und Publikationen an.

Mehr Infos zum Thema Nullschwellen gibt es unter: www.die-frau-nullschwelle.de

Der Artikel ist in der Ausgabe 02/2019 zu finden.

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