von Patrick Inhestern

Rechtsanwalt Patrick Inhestern - Foto: Inhestern

Rechtsanwalt Patrick
Inhestern – Foto: Inhestern

Immer wieder gab es in der Vergangenheit Unfälle in Pflegeeinrichtungen, bei denen meist demenzkranke Pflegeheimbewohner aus dem Fenster stürzten und sich schwer verletzten. Folge solcher Unfälle waren entweder Schmerzensgeldprozesse Hinterbliebener oder Schadensersatzklagen der Krankenkassen, mit denen Ersatz von Heilbehandlungskosten verlangt wurden.

Die Rechtsprechung hat bisher die Schutzpflichten von Pflegeheimen unterschiedlich beurteilt. Nun hat das höchste deutsche Zivilgericht – der Bundesgerichtshof (BGH) – einen Fall dazu entschieden. Dies dürfte Konsequenzen für Sie als Pflegedienstleitung bzw. Heimleitung haben.

Um was ging es in der Entscheidung des BGH?

In dem vom BGH zu entscheidenden Fall (Aktenzeichen III ZR 168/19) hat die hinterbliebene Ehefrau das Pflegeheim auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Anspruch genommen, nachdem ihr hochgradig dementer Ehemann in dem ihm zugewiesenen Wohnraum im 3. Obergeschoss aus dem Fenster gestürzt war, sich bei diesem Sturz schwer verletzte und trotz mehrerer Operationen ca. zweieinhalb Monate später verstarb. Der Mann war örtlich, zeitlich, räumlich und situativ zur Person desorientiert. Überdies litt er unter Gedächtnisstörungen und psychisch-motorischer Unruhe. Schließlich bestand bei ihm eine Lauftendenz und Selbstgefährdung. Die Klage bei dem Landgericht Bochum sowie die Berufung bei dem OLG Hamm blieben ohne Erfolg.

BGH erhöht Sicherungspflichten von Pflegeheimen deutlich

Der BGH hat den Fall nicht in der Sache entschieden, sondern an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Dabei hat aber der BGH eine Pflicht von Pflegeheimen deutlich festgestellt, die ihnen anvertrauten Bewohner vor Gefahren zu schützen, die diese selber nicht beherrschen. Der Inhalt dieser Schutzpflicht ergebe sich aus dem konkreten Einzelfall. Abzuwägen seien die Menschenwürde und das Freiheitsrecht eines körperlich oder geistig beeinträchtigten Heimbewohners mit seinem Leben und seiner körperlichen Unversehrtheit. Entscheidend sei, ob wegen des körperlichen und geistigen Zustandes eines pflegebedürftigen Bewohners von vornherein angenommen werden konnte, dass dieser sich ohne Sicherungsmaßnahmen selbst schädigt. Ausdrücklich klargestellt hat der BGH in diesem Zusammenhang, dass ein Risiko, dessen Eintritt nicht allzu wahrscheinlich ist, dessen Folgen aber besonders schwer sind, bereits Sicherungspflichten des Pflegeheims nach sich zieht. Der BGH hat dem Oberlandesgericht aufgegeben, bei erneuter Verhandlung den Krankheitszustand des Bewohners und insbesondere seine Demenzerkrankung sorgfältig zu bewerten.

Verletzung des Pflegevertrages begründet hohes Schmerzensgeld und Schadenersatz

Die endgültige schriftliche Entscheidung des BGH liegt noch nicht vor. Ausweislich der Pressemitteilung hat das Gericht seine Entscheidung im Wesentlichen auf zwei Anspruchsgrundlagen gestellt. Es sieht zum einen eine Verletzung des Heimvertrages durch das Pflegeheim. Zum anderen sieht es eine deliktische Haftung des Pflegeheims aufgrund unerlaubter Handlung. Gegenstand seiner Entscheidung war nur das Schmerzensgeld der Witwe. Auf den Heimträger kommen in der Situation – wie eingangs angedeutet – daneben Schadensersatzansprüche der Krankenkassen für die Heilbehandlungskosten des Verletzten zu. Bei mehreren Operationen und längerem Krankenhausaufenthalt können diese schnell einen 6-stelligen Betrag erreichen.

Was sind die Folgen für Sie als Pflegedienstleitung bzw. Heimleitung?

In dem konkreten Fall hatte ein Vertreter der beklagten Pflegeeinrichtung ausgeführt, dass die zu treffenden Schutzmaßnahmen zwangsläufig dazu führen würden, dass innerhalb einer Einrichtung alle Fenster verriegelt werden müssten. Während die Instanzgerichte dem noch gefolgt sind, hat der BGH diesem Vorbringen eine Absage erteilt. Welche Folgen die Entscheidung für die Praxis hat, wird sich zeigen. In der Pflegedokumentation wird künftig festgehalten werden, ob und wie eine Gefährdungslage im Einzelfall gesehen worden ist und welche Maßnahmen dagegen getroffen worden sind. Wenn Demenz, Suizidalität, Orientierungslosigkeit oder Weglauftendenzen aus der Pflegedokumentation ersichtlich sind, dann sollten Sie als Pflegedienstleitung bzw. Heimleitung im gleichen Atemzug Sicherungsmaßnahmen durchführen und ebenso dokumentieren. Als Sicherungsmaßnahmen kommen im Wesentlichen die Verriegelung des Fensters des Bewohnerzimmers, bauliche Veränderung der Fenster dahingehend, dass diese nur noch einen Kippmechanismus haben und Medikamentengabe in Betracht.

Kurzinfo

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Rechtsanwalt
Patrick Inhestern
Köbelinger Straße 1
30159 Hannover
Telefon: 0511 33098380
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E-Mail: inhestern@pi-kanzlei.de

Der Artikel ist in der Ausgabe 01/2021 zu finden.

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