Rechtssicherheit für Betreiber, Planer und Bauträger

Normen und Regelungen zur Barrierefreiheit zuverlässig umsetzen

Von Klaus Helzel, TÜV SÜD Industrie Service
und Helmut Stranzinger, SH GmbH & Co. Projektentwicklungs KG

Die gesetzlichen Vorgaben zur Barrierefreiheit sind vielschichtig und zudem auf Länderebene geregelt. So ist z. B. für Senioreneinrichtungen in Bayern zunächst einmal der erste Teil der Verordnung zur Ausführung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz (AVPfleWoqG) relevant. Diese bestimmt die baulichen Grundvoraussetzungen, auch im Hinblick auf die Barrierefreiheit. Für weitere Details verweist die Verordnung auf die DIN 18040-2 Barrierefreies Bauen – Planungsgrundlagen – Teil 2: Wohnungen. Diese berücksichtigt auch die Belange sowohl von gehbehinderten Menschen als auch von Sehbehinderten und Hörgeschädigten. Der Spielraum, der bei der Umsetzung besteht, stellt für viele Anwender eine Herausforderung dar – bedeutet aber auch Freiräume für individuelle Lösungen.

Zur Umsetzung der Regelungen und Normen sind hinsichtlich der Barrierefreiheit meist bauliche Maßnahmen mit einem erhöhten Platzbedarf nötig. Letzteres gilt insbesondere für eine uneingeschränkte Rollstuhlnutzung (R-Anforderung). Aufgrund der demografischen Entwicklung ist es jedoch mitunter erforderlich, dass möglichst viele Pflegezimmer pro Einrichtung entstehen, die zugleich in ihrer Ausgestaltung dem jeweiligen regionalen Pflegebedarf entsprechen. Ist der Bedarf an Pflegezimmern hoch und die Zahl der gehbehinderten Bewohner zugleich gering, so kann die gesetzliche R-Anforderung für uneingeschränkte Rollstuhlnutzung im Einzelfall genau geprüft werden. Denn weniger Zimmer mit R-Anforderung können eine höhere Gesamtzimmerzahl bzw. ein höheres Komfort-Niveau ermöglichen. Hier lohnt eine übergreifende Betrachtung, bei der mehrere Faktoren einbezogen werden. Neben den Besonderheiten vor Ort sind auch das Pflegekonzept des Betreibers und die spezifischen Bedürfnisse der Bewohner einzubeziehen und nicht zuletzt ist der enge Kontakt zu den zuständigen Behörden wichtig.

Lösungsbeispiele in Südfranken und der Oberpfalz

Experten von TÜV SÜD haben in Bayern erfolgreich die Erarbeitung von Planungs- und Baulösungen begleitet. Diese wurden in enger Zusammenarbeit [[wysiwyg_imageupload:750:]]mit der SH GmbH & Co. Projektentwicklungs KG umgesetzt. Das Unternehmen aus Pfarrkirchen nimmt regelmäßig an Ausschreibungen für Pflegeeinrichtungen teil. Diese werden gemeinsam mit dem jeweiligen Betreiber entwickelt, der für das Objekt gefunden wurde. Die einzelnen Pflegezimmer werden mit dem Mietvertrag als Anlage nach Wohnungseigentumsgesetz verkauft. Die Pflegeeinrichtung geht meist komplett an eine Wohnungseigentümergemeinschaft über. Bei SH Projekte verbleibt die Hausverwaltung der Objekte, die in der Regel langfristig vermietet sind. Da SH Projekte als Bauträger oder Hausverwaltung auftritt, vereinfachen sich bei etwaigen Mängeln die Kommunikationsprozesse für Betreiber und Investoren in der Praxis erheblich.

Bei zwei aktuellen bayerischen Pflegeeinrichtungen wurden die Anforderungen an die Barrierefreiheit in enger Abstimmung mit der zuständigen Behörde gelöst. Hier waren die Fachstellen Pflege- und Behinderteneinrichtungen – Qualitätsentwicklung und Aufsicht (FQA) in Südfranken und der Oberpfalz zuständig. Die Experten von TÜV SÜD begleiteten von Anfang an die Gespräche und zeigten insbesondere auf, wie sich die Schutzziele der Norm praxisgerecht umsetzen lassen. Einbezogen wurden hierbei sowohl die Bedürfnisse und das Pflegekonzept des Betreibers als auch der regionale Bedarf an Pflegezimmern mit R-Anforderung. Die Prüfung im Einzelfall ergab, dass in beiden Fällen die Umsetzung der 25-Prozent-Quote an Pflegezimmern und Gemeinschaftsräumen mit R-Anforderung nicht notwendig war. So konnte in den Fallbeispielen jeweils eine höhere Gesamtzahl an Pflegezimmern und Gemeinschaftsflächen pro Einrichtung realisiert werden.

Schwellen, Handläufe und Türgriffe[[wysiwyg_imageupload:749:]]

Die Herausforderungen von normgerechten und zugleich wirtschaftlichen Lösungen zeigen sich häufig in baulichen Details. Sorgfältig zu betrachten und abzuwägen sind die Zielvorgaben der Norm, die bautechnischen Aspekte der Barrierefreiheit, aber auch die internen Betriebsabläufe. So fordert die Norm z. B. generelle Schwellenfreiheit, und gestattet aber bei technischer Unvermeidbarkeit Schwellen bis zu 20 mm Höhe. Im Fallbeispiel wurden die Schwellen an Hauseingangs- und Terrassentüren bis 15 Millimeter vereinbart. Durch die Festlegung von Toleranzaspekten konnten auf dem Bau übliche Abweichungen sicher aufgefangen werden und führten nicht zu Mängeln im Sinne der Norm.

Auch die Bedienhöhen von Lichtschaltern sowie von Tür- und Fenstergriffen konnte bei allen Zimmern ohne R-Anforderung auf gewohnter Höhe belassen werden. Dies vereinfacht die Benutzung insbesondere für Demenzerkrankte aber auch für sehbehinderte Menschen und das Pflegepersonal. Zugleich erhielt der Betreiber mehr Spielraum bei der farblichen Gestaltung. Damit gelang es zum einen, gezielt auf die Bedürfnisse der künftigen Benutzer einzugehen. Zum anderen wurde hiermit zugleich eine unverhältnismäßig bunte bzw. kühle Gestaltung vermieden.

Die Sanitäreinrichtungen konnten unter Ausnutzung der Handlungsspielräume ebenfalls an den Bedürfnissen des Betreibers ausgerichtet werden. So wurde zunächst auf beidseitige Stützklappgriffe an WC-Becken und Duschen verzichtet. Diese sind laut Norm für Sanitärräume mit R-Anforderung vorgesehen. Stattdessen wurden bei den WC-Becken einseitige Haltegriffe montiert, sowie an der freien Seite Verstärkungen, die es dem Betreiber ermöglichen später Stützklappgriffe nachzurüsten – und zwar gezielt in den Zimmern, in denen sie auch benötigt werden. Auch auf Duschklappsitze wurde verzichtet. Hier war es der Wunsch des Betreibers, Duschsitze und Duschrollstühle zusammen mit einer assistierenden Pflegekraft einzusetzen. Diese Lösungen erfüllen die Zielvorgaben der Norm und ermöglichen zugleich eine Nutzung der Räumlichkeiten, die sich flexibel auf künftige Bedürfnisse ausrichten kann.

Fazit

Wie die beiden Fallbeispiele zeigen, lassen sich die Umsetzungsspielräume bei der Barrierefreiheit für normgerechte und zugleich kosteneffiziente Lösungen nutzen. Diese hat auch die zuständige Behörde genehmigt. Entscheidend dabei war, dass mögliche Lösungen bezogen auf die individuellen Bedürfnisse der Beteiligten, den regionalen Pflegebedarf und das Pflegekonzept maßgeschneidert wurden. Unabhängige Experten von TÜV SÜD unterstützen mit diesem Ansatz Betreiber und Planer sowie den Einkauf und das Management von Einrichtungs- und Pflegeleitungen.

 

Die Autoren:

Klaus Helzel, Expertengruppe Barrierefreies Bauen bei der TÜV SÜD Industrie Service GmbH, München

Helmut Stranzinger, Geschäftsführer der SH GmbH & Co. Projektentwicklungs KG, Pfarrkirchen

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