Generalistische Pflegeausbildung – Provokation für das Altenhilfesystem

Herausforderungen für Seniorenheime durch die geplante generalistische Pflegeausbildung

von Ursula Kriesten

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Das geplante neue Pflegeberufegesetz wird massive Auswirkungen auf das Altenhilfesystem, vor allem auf Seniorenheime haben. Die Befürworter der Generalisierung der Pflegeberufe versprechen sich eine bessere Verwertbarkeit der „Pflegegeneralisten“ in die verschiedenen Beschäftigungsfelder der Akut- wie Langzeitpflege, wie auch der Kinder-, Kranken- und Altenpflege. Experten der Altenhilfebranche jedoch wissen: Eine Zusammenlegung der drei Berufe hätte für die pflegerische Versorgung und Betreuung, insbesondere für die Altenhilfebranche und die gerontopsychiatrisch betroffenen Menschen, drastische Auswirkungen.

Ausgang


Trotz der offenkundigen Fachexpertise und der Warnungen verschiedener Verbände, der Altenhilfe, der Altenpflegebildung, der Kinderkrankenpflege, der Psychiatrie, der Gerontopsychiatrie etc., treiben Vertreterinnen und Vertreter der somatisch orientieren Krankenhauspflege zur Vereinheitlichung der Pflegeausbildung.

Politisch Verantwortliche stehen unter Druck, da bereits das zweite Mal (2009 und 2013) im Koalitionsvertrag die Weiterentwicklung der Pflegeberufe angekündigt ist. Die Politik begründet ihr Vorhaben wie folgt:

Die CDU/CSU und SPD haben im aktuellen Koalitionsvertrag wie folgt konsentiert: „Der Wechsel zwischen den Berufen in der Pflege muss erleichtert werden. Wir wollen die Pflegeausbildung reformieren, indem wir mit einem Pflegeberufegesetz ein einheitliches Berufsbild mit einer gemeinsamen Grundausbildung und einer darauf aufbauenden Spezialisierung für die Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege etablieren“ (Koalitionsvertrag 2013 Pflege, Seite 83–86).

Da es aber leider nicht um eine Weiterentwicklung, sondern um eine Zusammenlegung der drei Berufe und somit zu einer Reduktion und Rationierung der Ausbildungsinhalte geht, kommt das Vorhaben einer Rückentwicklung gleich. Dabei werden gerade die Kompetenzen der Altenpflegekräfte in Zukunft benötigt.

Es würde ein qualitativer und quantitativer Verlust an pflegerischen Kompetenzen einhergehen, da die Kenntnisse von drei Berufen in einer Ausbildung zusammengefasst würden. Auch würden sich theoretische Fachkenntnisse auf allgemeingültige Basiskenntnisse reduzieren, da die bisher drei Ausbildungen mit je rund 2.100 Unterrichtsstunden auf eine Ausbildung mit rund 2.100 Stunden reduziert werden. Der Beruf Altenpflege würde sich reduzieren auf ein Unterrichtsfach. Der Verlust an altenpflegespezifischem, gerontologischem und geriatrischem Wissen in den Lehrplänen widerspricht aktuellen gerontopsychiatrischen Bedarfen. Die speziellen Kenntnisse, die im jeweiligen Berufsfeld erwartet werden, müssten in zusätzlichen Fort- und Weiterbildungen erworben werden. Falls die Fort- und Weiterbildungen überhaupt in Anspruch genommen würden, entständen zusätzliche Ausbildungszeiten und Kosten. Der Kompetenz-Outcome verändert sich zugunsten der medizinischen, arztunterstützenden Tätigkeiten. Dies kompensiert den Ärztemangel, nicht aber den Pflegefachkräftemangel außerhalb der Kliniken.

Das neue Pflegeberufegesetz würde weitere systemische Veränderungen bewirken:

Fachkräftemangel

Eine Zusammenlegung der drei Pflegeberufe würde den Mangel an qualifiziertem Fachpersonal, voraussichtlich vor allem in der Altenpflege, drastisch verschärfen. In durchgeführten Modellprojekten entschieden sich Auszubildende nach absolvierter gemeinsamer Grundausbildung in der Pflege nicht mehr für eine Spezialisierung in die Altenpflege, sondern zu Gunsten der Gesundheits- und Krankenpflege.

Existenzsicherung

Der Nachweis an Altenpflegefachkräften und anderem Pflegefachpersonal ist heute für viele Pflegeunternehmen Existenz sichernd. Ein weiterer Verlust von Fachkräften führt in einigen Regionen zur massiven Unterversorgung und in Fachabteilungen zu Schließungen oder zur Absenkung der Pflege- und Ausbildungsstandards.

Neuer Wettbewerb um Bewerber und Bewerberinnen

Die Altenhilfebranche müsste (erneut) für die „Altenpflege“ als Ausbildung werben, die dann nur noch als Vertiefungsrichtung während der generalistischen Pflegeausbildung möglich wäre. Nicht abzusehen ist das Bewerberinteresse für die Altenhilfe, wobei die Altenhilfe aber alle Pflegegeneralisten ausbilden müsste. Nicht abzusehen ist auch das Bewerberinteresse an einer generalistischen Pflegeausbildung von Umschülerinnen und Umschülern (vorausgesetzt diese Finanzierungsvariante bliebe überhaupt erhalten) und Berufs- und Lebenserfahrenen. Diese Bewerbergruppen, vor allem Bewerberinnen und Bewerber mit Familie, würden bei einer generalistischen Pflegeausbildung ggf. ganz wegfallen.

Rückgang Fachkräftequote

Die geplante Anrechnung der generalistischen Pflegeazubis auf den Stellenplan von 10,6:1 (Forschungsgutachten Wiad/Prognos) verschärft zudem den Rückgang der nachzuweisenden Pflegefachkräfte in der Altenpflege. Seniorenheimen würden somit weniger refinanzierbare Pflegefachkräfte zugestanden.

Qualitätsverlust in der berufspraktischen Pflegeausbildung

Die Zusammenlegung der Pflegeberufe hätte zur Folge, dass die berufspraktischen Einsätze gleichermaßen auf alle Bereiche der generalisierten Pflege (Akutpflege, Altenpflege, Kinderkrankenpflege) zu erfolgen hätte. Die Berufsfähigkeit müsste erst nach der Ausbildung erworben werden. Dass dieser Qualitätsverlust eintreten wird, wird auch von den Befürwortern der Generalistik nicht bestritten, da sie konstatieren, dass nach der dreijährigen Ausbildung eine Spezialisierung von Nöten sein wird. Das hätte zur Folge, dass die Praxisanleitungen die Azubis pflege-generalistisch qualifizieren müssten. Hierzu müssten sie selber erst einmal qualifiziert werden. Im Anschluss an die Ausbildung, in Weiterbildungen müsste die Fachexpertise „Altenpflege“ dann vermittelt werden. Dies würde einer Systematik folgen, die der beruflichen Altenpflege nicht entspricht.

Anleitungs-, Einarbeitungs- und Weiterbildungsaufwand

Die Zusammenlegung der Berufe würde aufgrund geringerer spezifischer Ausbildungsinhalte zu Defiziten, vor allem auch in der fachpraktischen und theoretischen Ausbildung führen und zu höheren Personalaufwendungen und Zusatzqualifikationen, vor allem bei den Praxisanleitungen. Die zunehmende Belastung und die quantitative Reduzierung des Personals, werden sich negativ auf die Personalentwicklung auswirken. Anstelle von Fach-und Handlungskompetenz werden generalistische Basiskenntnisse vermittelt. Der Verlust an fachspezifischem Wissen und Können wird Auswirkungen auf die Anleitung, Einarbeitung und praktische Ausbildung haben. Dadurch wird die Berufszufriedenheit nicht gesteigert. Der Erwerb der Fachkenntnisse wird in den Weiterbildungsbereich verlagert. Der Weiterbildungsaufwand erhöht sich. Die Finanzierung des Weiterbildungsaufwandes ist von politisch Verantwortlichen und Kostenträgern bislang nicht thematisiert.

De-Professionalisierung

Wenn Altenpflege als Beruf nicht mehr erlernt werden kann, entstehen in der Pflegebildung und somit auch bei Pflegepädagoginnen und Pflegepädagogen auch Pflegegeneralisten. Hierdurch entstehen Folgekosten zur Qualifizierung und, vorausgesetzt man würde an der Fachexpertise Altenpflege interessiert sein, neue erforderliche geriatrische, gerontologische und gerontopsychiatrische Pflegebildungsstrukturen, bis in die Masterstudiengänge.

Ausbildungsstätten

Der Verlust von rund 10% der Altenpflegeschulen ist zugunsten des Erhaltes von Krankenpflegeschulen vorprogrammiert (Forschungsgutachten Prognos/Wiad). Der absehbare Verlust kleinen Altenpflegeschulen vermindert Ausbildungsplätze, regionale Ausbildungsinfrastrukturen und die direkte Zusammenarbeit von Altenpflegepraxis und Altenpflegeschule.

Ausbildungsbetriebe

Die Ausbildungsbereitschaft der Ausbildungsbetriebe würde abnehmen, da sie in einer generalistisch orientierten Pflegeausbildung nicht berufsspezifisch ausbilden. Die betriebliche Anbindung der Auszubildenden an die Ausbildungsbetriebe wäre durch die verschiedenen vorgeschriebenen berufspraktischen Einsatzfelder nicht mehr gegeben.

Finanzierung

Die Finanzierung der Alten- und Gesundheits- und Krankenpflege fußt auf grundsätzlich unterschiedlichen Systemen. Ausbildung wird von Ausbildungsbetrieben als unternehmerisches Interesse gesehen. Die Interessen und Refinanzierungsmöglichkeiten der Krankenhäuser sind andere als der stationären Altenhilfe und wieder anders als die der ambulanten Pflege. Bei einer Fondfinanzierung aus SGB V und SGB XI und der Sozialhilfe bliebe abzuwarten, welche Branche (Akut- oder Langzeitpflege) in den Genuss von examinierten Pflegegeneralisten käme. Ein Benefit für alle Beteiligten ist bei einer neuen Finanzierungsvariante nicht erkennbar. Ehe ist zu erwarten, dass der Akutpflegebereich mit attraktiveren Rahmenbedingungen und Gehältern Pflegegeneralisten anwirbt.

Regionalisierung und Internationalisierung

Die Altenpflege als Beruf ist heute ein wertvoll gewachsenes Element zur Internationalisierung und zur Stützung des regionalen, kommunalen, kultursensiblen und migrationsadäquaten Versorgungsmanagements. Die Altenpflege ist mit ihren Mitarbeitern kultursensibel und migrationsentsprechend bunt gewachsen. Durch die Vielfalt der Kulturen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Altenpflege ist eine kultursensitive Organisationsentwicklung in den Pflegeeinrichtungen möglich. Ob sich ebenso viele Interessenten (z.B. muslimische Männer, die aktuell in der Altenpflege benötigt werden) für eine generalistische Pflegeausbildung, mit Praxiseinsatz in der Pädiatrie oder der Geburtsheilkunde interessieren, bleibt abzuwarten. Ein Verlust einer gelungenen migrationsfreundlichen Entwicklung wäre unverzeihlich.

Attraktivität der Altenpflege

Viele Bewerber entscheiden sich heute bewusst und mit hohem und zunehmendem Interesse für die Altenpflegeausbildung und die Arbeit mit Senioren. Die Bewerber- und Ausbildungspaltzzahlen für die Altenpflege haben in Deutschland in den letzten fünf Jahren stark zugenommen (DESTATIS 2011). Eine Zusammenlegung der Pflegeberufe würde eine große Gruppe von Personen von der Ausbildung fernhalten – insbesondere Personen, die ein spezielles Interesse an der Arbeit mit alten Menschen haben und, wie erwähnt, Quereinsteiger –, die bisher ein wesentliches Fundament der Beschäftigten in der Altenpflege darstellen. Die Attraktivität für den Altenpflegeberuf soll gesteigert werden – dabei wird der Beruf abgeschafft zugunsten von Pflegegeneralisten, wie wir sie vor der Verberuflichung der Altenpflege vor 50 Jahren hatten.

Zusätzliche Kosten

Neben der bereits berechneten Kostensteigerung in Höhe von 305 Millionen Euro (Forschungsgutachten Prognos/Wiad) für die Generalistik bleiben Fragen zu refinanzierbaren Pflegekosten, Weiterbildungskosten, Personalkosten, Kosten für den Umbau von Schulstrukturen und Lehrerteams im geplanten Berufsfachschulsystem usw..

Nicht definiert sind zudem Kostenwirkungen auf Pflegeunternehmen, Auswirkungen auf Verbraucher/Senioren durch den Wegbruch sozialpflegerischer Leistungen sowie Bürokratiekosten durch den geplanten Systemumbau.

Fazit

Eine Zusammenlegung der drei Ausbildungen (Kinderkrankenpflege, Gesundheits- und Krankenpflege und Altenpflege) führt zu bedrohlichen Defiziten in allen Versorgungsbereichen. Für die Altenpflege würde dies bedeuten: Wir werden keine mehr für die Langzeitpflege regelhaft qualifizierten Fachkräfte haben und vorhandene Qualitätsstandards nicht mehr halten können. Kompetenzen u.a. im Umgang mit Demenz, mit alterstypischen Risikolagen aufgrund von Verlusten, mit Angehörigen, werden ebenso nicht mehr verfügbar sein wie ein umfassendes Verständnis von Altenpflege, das immer auf der Wahrnehmung der Lebenswelt alter Menschen, des Quartiers, in dem sie wohnen, basiert.

Die Altenpflegerinnen und Altenpfleger decken zunehmend die fortschreitenden Versorgungsbedarfe älterer, alter und sterbender und vorrangig gerontopsychiatrisch veränderter Menschen, die in Pflegeeinrichtungen, in gerontopsychiatrischen Wohngemeinschaften, sowie in Häuslichkeit leben oder in stationären Aufenthalten in Kliniken therapiert und betreut werden. Vielmehr als Pflegegeneralisten benötigen wir in Zukunft z.B. gerontopsychiatrisch spezialisierte Pflegeteams in der stationären wie auch der ambulanten Pflege.

Die geplante Generalistik macht politisch den geringen Stellenwert um professionelle gerontologische und gerontopsychiatrische Pflege sichtbar. Das Berufsbild Altenpflege ist im Versorgungsmanagement der Altenhilfe, der Behindertenpflege und der Gerontopsychiatrie unverzichtbar und für Europa zukunftsweisend. Eine generalistisch ausgerichtete Gesundheits- und Krankenpflege gibt es heute schon. Warum soll die Altenpflege geopfert werden?

Mögliche Effekte und Gesetzesfolgen, die eine generalistische Pflegeausbildung nach sich ziehen würde, stellen ein Wagnis sondergleichen und hohe [[wysiwyg_imageupload:781:]]soziale und ökonomische Herausforderungen und mögliche negative Auswirkungen auf Altenpflegeunternehmen und deren Personalmanagement dar.

 

Verfasserin

Ursula Kriesten,
Master of Business Administration,
Krankenschwester, Lehrerin für Gesundheits- und Pflegeberufe,
Leiterin der Akademie Gesundheitswirtschaft und Senioren
AGewiS-Oberbergischer Kreis,
Stellv. Vorstandsvorsitzende des AAA-Deutschland,
Mitglied im Bundesvorstand des DBVA,
Mitglied im erweiterten Vorstand der HRCB
u.kriesten@gmail.com

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